(CIS)
Mit einer zweiteiligen Ausstellung mit historischen Bildern aus dem Stadtarchiv startet das Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum ins Ausstellungsjahr 2016. Die Aufnahmen der Kieler Fotografen zeigen die sich wandelnde Stadtlandschaft Kiels in zwei Epochen in einem zeitlichen Abstand von fast 100 Jahren: Teil 1 zeigt die Anfänge fotografischer Stadtbildnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Teil 2 präsentiert Bilder der modernen Nachkriegswelt der späten 1960er Jahre. Beide Epochen verbindet, dass sie durch Aufbruchsstimmung, Fortschrittsglaube und großstädtischen Bürgerstolz geprägt waren.
Foto: Landeshauptstadt Kiel
Die Ausstellung „Kieler Stadtfotografie 1 – Die Anfänge (1870-1910)“ zeigt gut einhundert Aufnahmen von Kiel zwischen 1860 und 1904 in hochwertigen Reproduktionen, die direkt aus den Scans der historischen Glasplatten entstanden sind. Zu sehen sind die Fotografien vom 22. Februar bis zum 10. April im Warleberger Hof, Dänische Straße 19.
Eröffnet wurde die Ausstellung an diesem Sonntag,von Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, Dr. Doris Tillmann (Direktorin des Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseums) und Dr. Johannes Rosenplänter (Leiter des Kieler Stadtarchives).
Frühe Fotografie an der Förde
Nachdem erste fotografische Versuche mit der Technik der Daguerreotypie nur Unikate hervorbrachten, wurde eine Vervielfältigung von Fotoaufnahmen seit den 1850er Jahren mit der Einführung der Negativfotografie auf Glasplatten möglich. Früheste fotografische Aufnahmen aus Kiel dieser Art entstanden um 1860. Bildabzüge auf Papier waren zunächst nur in der Originalgröße der Glasplatten möglich, weshalb für große Bildformate ebenso große Platten und somit riesige Fotoapparate mit Negativformaten bis 24 x 30 Zentimeter benutzt wurden. Die Belichtungszeiten lagen bei bis zu 30 Sekunden. Die Ausstellung zeigt einige dieser imposanten Kameras aus dem Nachlass des Fotografen Wilhelm Schäfer.
In den 1860er Jahren entstanden auf diese Weise auch die ersten fotografischen Stadtansichten von Kiel. Damals hatte die Stadt knapp 15.000 Einwohner und galt mit ihrem Hafen als Umschlagplatz für Holz und Agrarprodukte als wirtschaftlicher Mittelpunkt des Umlandes. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein mit der Universitätsstadt Kiel waren nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864 preußisch geworden, und ein Jahr später wurde die Marinestation der Ostsee an die Förde verlegt. Damit war der politische Grundstein für eine moderne Wirtschaftsentwicklung gelegt. Kiel rückte mehr und mehr ins Interesse der reichsweiten Öffentlichkeit, die spätestens mit der Ernennung zum Reichskriegshafen 1871 auch fotografische Abbildungen von der nun rasant wachsenden Fördestadt verlangte.
Die Fotografien der 1860er Jahre zeigen die von der Förde und dem Kleinen Kiel umschlossene Altstadtinsel. Die Silhouette der Stadt war geprägt vom Turm der gotischen Nikolaikirche und vom Schloss mit dem hohen Doppelmansarddach und seinen beiden Türmen. Deutlich zu erkennen sind auch der Buchwaldtsche Hof mit seinem doppelten Treppengiebel sowie die sechsflügelige Windmühle der Maßmannschen Goldleistenfabrik am Kütertor. Der Blick über den Kleinen Kiel auf die Stadt lässt die rückwärtigen Gärten und das zumeist sumpfige Ufer des flachen Gewässers erkennen, das erst durch den in den 1880er Jahren angelegten Lorenzendamm befestigt wurde.
Kieler Fotopioniere
In dieser Zeit hatten sich bereits etliche Fotografen in Kiel niedergelassen, denn die Aufnahmetechnik wurde immer einfacher und der Bedarf an Bildern wuchs. Neben der durch Gregor Renard (1814-1885) begründeten Dynastie von Fotografen in fünf Generationen können bereits für die 1860er Jahre etwa 20 weitere Daguerreotypisten in Kiel nachgewiesen werden. In ihren künstlerischen Ateliers widmeten sie sich vor allem Porträtaufnahmen der Kieler Oberschicht aus Adel, Militärs oder Professorenschaft der CAU, wie etwa von Martin Graak (1816-1899) überliefert. Frühe Stadtaufnahmen stammen von Friedrich Brandt (1823-1891), Friedrich Braune (1818-1889) und Christian Hinrichsen (1826-1869). Eine Bildermappe von Kiel und Schleswig-Holstein legte Wilhelm Dreesen im Jahr 1894 auf; er hatte sich auch als früher Reisefotograf einen Namen gemacht.
Eine Professionalisierung des Fotografenberufes führte Ende des 19. Jahrhunderts zu einer wahren Bilderflut. Die Zahl der Ateliers stieg ebenso wie die der Kundschaft für die immer preiswerteren Aufnahmen. Beliebt waren Porträts im Visitenkartenformat (5,5 x 9 Zentimeter) für Kieler Bürger und bald auch für die vielen Marineangehörigen, die in der Hafenstadt ihren Militärdienst leisteten. Und auch das Stadtbild wurde vermehrt zum Motiv der Lichtbildkünstler. Der Fotograf Wilhelm Schäfer zum Beispiel verlegte sich speziell auf die Marine- und Hafenfotografie.
Bei der Darstellung Kiels lag das fotografische Interesse vor allem bei zwei Themen: zum einen die Darstellung der alten Bausubstanz mit den ehrwürdigen Denkmälern aus der Geschichte der Stadt und zum anderen die Veränderungen durch technische Neuerungen und die rasante Modernisierung des Stadtbildes, für die sich die Bürger, aber auch auswärtige Interessierte begeisterten. Wichtige Fotodokumente der Kieler Altstadt sind Johann Thormann (1856-1920) zu verdanken, der 1904 mit seiner Kamera die historische Bausubstanz einfing, kurz bevor sie dem Abbruch preisgegeben wurde.
Kiel war mit einer Einwohnerzahl von 100.000 im Jahr 1900 zur Großstadt geworden und wuchs im rasanten Tempo des wilhelminischen Wirtschaftsaufschwungs weiter. Doch das Stadtzentrum auf der Altstadtinsel bestand noch immer aus den oft über 300 Jahre alten, verwinkelten Gassen und Fachwerkhäusern, die eine Modernisierung und Anpassung an die gestiegenen Verkehrs- und Wohnbedürfnisse nicht mehr zuließen. Nicht zuletzt der Plan, eine Pferdestraßenbahn durch die Dänische Straße über den Markt und durch die Holstenstraße anzulegen, gab Anstoß zum Abbruch der alten Gebäude. Kiels Stadtbaurat Georg Pauly beauftragte jedoch zuvor den Fotografen Johann Thormann, die alten Straßenzüge für die Nachwelt abzulichten. Es entstanden gut 100 detailscharfe Aufnahmen von den Renaissance- und Barockfassaden der Bürger- und Adelshäuser, aber auch von düsteren Hinterhöfen und engen Gassen, die den dringenden Sanierungsbedarf der Altstadt deutlich machen.
Der heutige nostalgische Blick auf die einstige Schönheit der Kieler Altstadt, den die überlieferten Fotografien bieten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bauliche Modernisierung des Stadtzentrums seinerzeit einem echten Bedürfnis nach vermehrtem Wohnkomfort und wirtschaftlicher Belebung in der aufstrebenden Kommune entsprach.
Eine Stadt im Aufbruch
Die städtische Entwicklung Kiels erfolgte im 19. Jahrhundert zunächst in zwei topografische Richtungen: über die Vorstadt nach Süden und in nördlicher Richtung zur Brunswik. Die Vorstadt war bereits im 16. Jahrhundert angelegt worden. In diesem betriebsamen Quartier vor der Stadtmauer lag das St.-Jürgen-Hospital mit dem alten Friedhof. Das 1775 errichtete Handelshaus der Kaufmannsfamilie Schweffel prägte mit seinem markanten Mansarddach noch hundert Jahre später die Stadtsilhouette. Der Bahnhof von 1844 an der Klinke und der Anfangspunkt der Altonaer Chaussee von 1832 am „Rondeel“ markierten die Verkehrsverbindung Kiels ins holsteinische Hinterland in Richtung Neumünster, Hamburg und Altona.
Die Brunswik im Norden Kiels war dagegen bis Ende des 19. Jahrhunderts ein bäuerliches Dorf, doch nach der Eingemeindung 1869 bot sich hier Bauland für großzügige Marine- und Universitätseinrichtungen. Dem Ausbau Kiels zur Großstadt lagen verschiedene stadtplanerische Konzepte zugrunde, von denen der Stübbenplan 1901 eine prognostizierte Einwohnerzahl von bis zu einer Million Menschen berücksichtigte.
Handelshafen und maritime Wirtschaft erfuhren in den 1880er Jahren ebenfalls einen Modernisierungsschub, weil die wachsende Bevölkerung mit Gütern aller Art versorgt werden musste. Reedereien und Schiffsmakler ließen sich zwischen Bootshafen und Seegarten Speicher und Kontorhäuser im wilhelminisch-historistischen Baustil errichten.
Trotz der wachsenden Industriearbeiterschaft der Werften und der zunehmenden Präsenz der Marine bestimmten stolze Bürger das gesellschaftliche Leben in Kiel. Nördlich des Schloßgartens, den seit 1896 das große Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. schmückte, war ein neuer Universitätskomplex entstanden und daran anschließend, Richtung Düsternbrook an der Förde entlang, ein Villenviertel im Grünen. Mode und Wohnungseinrichtungen im Stil des Historismus brachten den Patriotismus der Kieler zum Ausdruck. Traditionen und bürgerliches Bewusstsein wurden auch in vielerlei Vereinen gepflegt, deren Mitglieder sich den Fotografen stolz präsentierten. Für die langen Belichtungszeiten der Aufnahmen posierten sie in steifer Aufstellung.
Auch das Arbeitsleben war ein fotografisches Motiv: Hier zeigt sich die Vielfalt der gründerzeitlichen Wirtschaft in unterschiedlichsten Branchen und Betrieben. Ob Reedereikontor, Großräucherei oder Bierbrauereien, sie alle ließen ihre Belegschaften von den Fotografen ablichten. Zu sehen sind Arbeiter auf den Gerüsten der Baustellen für Wohnhäuser aber auch der Infrastruktur wie Straßen, Brücken oder dem Wasserturm am Ravensberg 1898 und dem modernen Gaswerk in der Wik, das im gleichen Jahr errichtet wurde.
1865 war die Marinestation nach Kiel verlegt worden, und im gleichen Jahr hatte Georg Howaldt auf seiner Schiffswerft in Ellerbek das erste eiserne Dampfschiff an der Förde konstruiert. Damit war der Grundstein gelegt für den Ausbau Kiels zum Reichskriegshafen und für die nachhaltige industrielle Entwicklung des zivilen und militärischen Schiffbaus auf dem Kieler Ostufer.
Der später in Dietrichsdorf angesiedelten Howaldtswerft und der Königlichen beziehungsweise Kaiserlichen Werft folgte 1882 die später vom Krupp-Konzern übernommene Germaniawerft als dritte Großwerft mit insgesamt über 10.000 Beschäftigten im Jahr 1899. Das immense Expansionsbestreben der Werften verdrängte die bis dahin ländliche Lebenswelt Gaardens ebenso wie das Fischerdorf Ellerbek. Innerhalb weniger Jahre entstanden dort riesige Industrieanlagen am Wasser und Arbeitersiedlungen im Hinterland. Neue Straßen sowie Fährlinien über die Förde verbanden sie mit den Kieler Stadtteilen auf dem Westufer.
Die maritime Aufrüstung im wilhelminischen Deutschland hatte in Kiel die Stationierung vieler tausend Marinesoldaten zur Folge. Für sie wurden „auf der grünen Wiese“ große Kasernenanlagen mit Exerzierplätzen sowie Stationsgebäude, Lazarette oder Garnisonskirchen gebaut, die das Stadtbild ebenso prägten wie die in der Förde auf Reede liegenden Kriegsschiffe. Als neue touristische Ausflugsziele weckten sie auch das Interesse der Fotografen und deren Kunden.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Kiel wegen seiner landschaftlichen Schönheit bekannt, die sich vor allem beim Blick von den waldigen Höhen des Westufers auf die Förde offenbarte. Dort boten viele beliebte Ausflugziele auch den Fotografen reizvolle Motive. Entlang der Wasserallee, an der alten Seeburg vorbei, konnte man etwa zur Seebadeanstalt wandern, deren klassizistischer Bau nicht nur für Badeanwendungen diente, sondern auch gastronomische Angebote vorhielt. Im Meer badete man damals nur vom geschützten Badekarren aus. Den schönsten Ausblick hatte man von der Gastwirtschaft Bellevue.
Ein Ausflug weiter in Richtung Norden führte nach Holtenau zu den Schleusen des Alten Eiderkanals. Auch der Neubau des Kaiser-Wilhelm-Kanals 1895 lockte viele Besucher an; seine technischen Einrichtungen wie die großen Schleusen und Brücken galten als Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst und wurden bald beliebte Touristenziele, die oft im Foto festgehalten wurden.
Das Ostufer mit der Gaardener Gastwirtschaft Wilhelminenhöhe oder dem idyllischen Fischerdorf Ellerbek bot ebenfalls beliebte Ausflugsziele, die man mit der Fähre etwa vom Seegarten aus erreichen konnte.
Ausblick: Kieler Stadtfotografie Teil 2
Der zweite Teil der Ausstellung unter dem Titel „Das neue Stadtbild, Fotos von Hermann Nafzger (1965-1970)“ wird vom 17. April bis 5. Juni im Warleberger Hof präsentiert. Sie zeigt das moderne Kiel, wie es der Pressefotograf Hermann Nafzger (geboren 1914, gestorben 1995) Mitte der 1960er Jahre gesehen und mit der Kamera festgehalten hat. Damals galt der Wiederaufbau der schwer kriegszerstörten Stadt als weitgehend abgeschlossen, und der Stolz auf das neue Stadtbild mit seinem Einkaufszentrum, seinem florierenden Hafen, mit Werften, Universität und großstädtischen Kultur- und Freizeiteinrichtungen prägte das kommunale Selbstbewusstsein. Nafzger hat zwei Fotobände geschaffen, in denen er das Bild der lebendigen Großstadt mit ihrer modernen Architektur eingefangen hat. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl dieser Aufnahmen in neuer medientechnischer Bearbeitung und Interpretation.
Kieler Stadtfotografie, Teil 1 – Die Anfänge (1870-1910)
22. Februar bis 10. April
Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum Warleberger Hof
Dänische Straße 19
24103 Kiel
Telefon 0431/901-3425
www.stadtmuseum-kiel.de
twitter@StadtKulturKiel
Öffnungszeiten:
dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr
Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 1 Euro
Öffentliche Führungen: sonntags 15.30 Uhr
Gruppenführungen nach Vereinbarung unter Telefon (0431) 901-3488
Begleitprogramm:
Donnerstag, 31. März, 19:30 Uhr
Vortragsveranstaltung mit Bernd Renard, Industrie- und Werbefotograf: „Von Daguerre bis digital – Meilensteine der photographischen Verfahrenstechniken anhand von Bildern der Marine und der Stadt Kiel.“ Eintritt frei
Stadtmuseum Warleberger Hof, Dänische Straße 19
Für Kinder:
Sonntag, 20. März, 14 Uhr
Sonntag, 3. April, 14 Uhr
Geheimnisvolle Spurensuche im alten Kiel mit Handy oder Fotoapparat!
Wie sah es in Kiel früher aus? Gibt es noch Spuren einer alten Stadt? Wenn ja, wo sind Überreste davon zu finden? Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich ihr Handy oder ihren Fotoapparat schnappen und die Spuren der alten Stadt entdecken. Die besten Fotos werden prämiert und im Museum präsentiert.
Teilnahme von 8-12 Jahren
Dauer: 120 Minuten
Maximale Teilnehmerzahl: 12 Kinder
Kostenbeitrag: 5 Euro
Anmeldungen unter Tel. 0431/901-3425
Die Kinder müssen von einem Elternteil begleitet werden.
Treffpunkt: Stadtmuseum Warleberger Hof, Dänische Straßwe 19 Leitung: Dr. Birte Gaethke, Kunsthistorikerin